„Seine feingliedrigen Finger berührten ihre (…), es durchzuckte sie wie ein Blitz.“
Fortsetzung gefällig? Wer jemals von einem Blitz „durchzuckt“, alternativ „durchfahren“ wurde, der hat meist zwei Brandlöcher in den Schuhsohlen oder wird von den biegsamen Häärchen eines Besens berührt, mittels dem eine arme Haut das Aschehäufchen zusammenkehren muss. Aber das nur nebenbei. Gelesen hab ich das vor kurzem, nebst der ganzen Litanei aus „wild klopfendem Herzen“ und „heißem Schauer.“ Die Buchempfehlung lass ich da mal beiseite.
F
leischliche Begierden sind ein rutschiges Pflaster. Literarisch betrachtet liegt man schneller auf der Nase, denn zwischen seidigen Laken.
(Das Adjektiv „schlüpfrig“ sollte generell ein No-go sein, wenn es nicht um Seife geht)
Mal kommt der erotische Erguss banal daher und ist gespickt mit Geselchtem von der Fleischtheke samt fettigen Floskeln, mal vorhersehbar, als gynäkologisches Bulletin oder so, als würden die Protagonisten in vertikaler Stellung ihre Steuererklärung beackern.
Was im wahren Leben berauschendes Vergnügen ist, kann für den duldsamen Leser Bestrafung und Pein bedeuten.
Lies das und leide!
Selbst jene, deren geschundene Haut sich nach Buße sehnt, schämen sich fremd, wenn beim Soft-SM-Epos die Baumarktutensilien hervorgekramt werden. Anregende Fantasie? Lass stecken Karl-Heinz. Dein Weibchen träumt sicher nicht davon, dass du die Kabelbindernummer im Doppelbett mit der Biberbettwäsche durchexerzierst. Es sei denn, du mutierst zum Millionär mit Waschbrettbauch.
Zustimmender Kommentar: „Oh bitte, ja!“, seufzte Laura erregt.
Dass „drastisch“ einhergehen kann mit drastischer Langeweile wird jeder/jede bestätigen, die/der sich in diesem Zusammenhang mal durch einen Monolog über Hämhorrieden gearbeitet hat oder den Wetterbericht nächtlicher Leibesverrenkungen: Hitzewellen, Blitze, Lawinen, Stürme, Brisen, Wellen, Fluten und Schauer, die abwechselnd verglühen, zum Erzittern bringen, schmelzen, hinweg reißen und erbeben lassen. Liest sich, als fände Hieronymus Boschs Armageddon ins Schlafzimmer statt.
Solcherart „ungeschminkte“ Werke werden ja gern als tabulos etikettiert, obwohl bereits etruskische Fresken prickelnderes zu bieten hatten. (Wer die Gelegenheit hat, sollte die studieren – hat was)
Aber – und dieses ABER ist ein Fettes, es gab und gibt Autoren, die in der Lage sind die fleischliche Vereinigung so facettenreich ablaufen zu lassen, dass beim Leser das Gähnen unterbleibt. Entscheidend scheint die Mischung an Beiläufigkeit, Überraschung und Glaubwürdigkeit, gepaart mit spielerisch-ausufernder Kreativität zu sein.
Zwecks geistigen Erbauung gibts exemplarisch meine kleine subjektive Auswahl aus alledem, was zwischen Buchdeckel passt und dem Krause gerade in den Sinn kommt. Bei diesen Autoren scheinen Lust und Begehren in der Story kein Selbstzweck zu sein und sie kommen, lässig eingebettet in eine solide Handlung, nicht billig und abgegriffen daher. Das mag das Geheimnis zu sein. Kein Hexenwerk. Das happy Ending ist dabei aber nicht garantiert.
Philip Roth („Sabbaths Theater, Das sterbende Tier“)
Philip Roths Texte sind – für mich – einmalig. Er schaffte es, Begehren und Gelüste bildhaft überzeugend und ohne Pathos in Worte zu kleiden – schonungslos, und doch mit Witz. Er legt sie bloß, wie ein Archäologe die Geheimnisse alter Zeit. Mal Hacke und Schaufel, mal feinster Pinsel.
Hubert Selby („Der Dämon, Letzte Ausfahrt Brooklyn“)
Selby inszeniert atmosphärisch stringente, rohe Settings. Man inhaliert die ganze krude und gefährliche Mixtur, welche die blanken Existenzen seiner Protagonisten ausschwitzen und auskeuchen. Er seziert sie gnadenlos. Die geballte Ladung Hoffnungslosigkeit sollte man jedoch aushalten wollen.
Nicholson Baker (Die Fermate, Haus der Löcher)
Treffend in Szene gesetzte lustbestimmte Momente in originellen, schrägen Geschichten. Schwülstigkeit und Trallala findet sich woanders. Wer sich drauf einlässt, kann sich bestens amüsieren.
Charles Bukowski (Kaputt in der City, Flinke Killer)
Neben Poesie, Essays und jeder Menge Working-Class Geschichten, viel Rein und Raus. Was sonst ist zu bekommen, wenn dir nichts bleibt als Überlebenskampf, Verzweiflung und Suff? Derb und billig, roh und schlicht – wie die Gestalten, um die sich seine Erzählungen ranken. Eingleisig manchmal. Authentisch immer.
(Mit „Bring me your love“ ist einst eine Story erschienen, mit Zeichnungen von Mr. Crump, auch Janosch und M. Schultheiss haben illustriert für „the dirty old man“).
Paul Theroux (Hotel Honolulu, Der Fremde im Palazzo d’Oro)
Ein Beispiel, dass es keiner gekünstelten Szenerie oder Manege bedarf, um den Handelnden das angedeihen zu lassen, was schlicht zu ihrem Dasein gehört. Ein passabler F… dann und wann. Lakonisch zwar und doch scharf- und hintersinnig.
Jacques Chessex (Der Schädel des Marquis de Sade)
Nur die Harten kommen in den Garten.
Derb, sprachgewaltig, schräg und kräftig morbid. Wer nicht zurückscheut, wird unterhalten.
Noch ein Wort zum berüchtigten Marquis: Geschichten wie „die 120 Tage von Sodom“ zu lesen, kann erhellend sein, falls jemand die passende Grundstimmung mitbringt. Einfallsreich war er auf seine Art, schockierend heutzutage kaum mehr. Ermüdend mit Tendenz zu Wiederholungsschleifen. Meist sind die „literarischen“ Erwartungen seiner Leser an die Texte zu hoch. Kurzweiligere Unterhaltung zum „Subject“ böte da „die Geschichte der O“ von Anne Cécile Desclos.
Elfriede Jelinek (Die Klavierspielerin, Lust)
Lese und lerne E. L. James! Wobei die Leserkreise wohl nur eine begrenzte Schnittmenge haben. Jelinek kann dich in ihren Bann ziehen.
Haruki Murakami (Südlich der Grenze, westlich der Sonne)
Eintauchen und gefangen werden. Die Welt von Murakami ist eine eigene, mystisch sinnliche. Überfliegen funktioniert nicht und das ist gut so.
Alfred Döblin (Berlin Alexanderplatz)
Nein – kein erotisches Feuerwerk, das „Fleischliche“ wird beiläufig erwähnt, wie Fressen und Saufen, es wird gemunkelt, getuschelt und angedeutet, so unverfälscht, dass du dem Protagonisten unter die Haut schlüpfst. By the way, Döblin ist einer meiner literarischen Helden, sodass er hier nicht fehlen darf. Einfach mal so.
Henry Miller (Opus pistorum, Wendekreis des Krebses)
Muss man nicht viel sagen, hat diesen manisch erzählerischen Drive, der einen fesselt, auch wenn es die Kiste manchmal aus der Kurve haut. Seine Partnerin Anäis Nin hat mit „Das Delta der Venus“ und „Verborgene Früchte“ erotische Erzählungen veröffentlicht, die zu Klassiker gezählt werden – kann man mögen, muss man nicht. Kategorie: „Salz auf unserer Haut.“
Francais Villon (Das große und das kleine Testament, Balladen und lasterhafte Lieder)
Was mach der denn hier? Man könnte ihn den Bukowski des Spätmittelalters nennen. Der Mann lebte das, was er schrieb. Er fand seinen Stoff auf den Märkten, in den Spelunken in finsteren Gassen und Gossen, dort wo auch er zuhause war. Und das fleischliche findet seinen Platz, musste seinen Platz finden. Laster? Vielleicht.
By the way, kleiner narzisstischer Einschub: Mein Erzählband trägt den Titel „Hurenballade“ als Reminiszenz an ihn. Weil es auch Stories über die Leut auf der schrägen Seite sind, auf die sich Villon verdammt gut verstand. Die Lust war im Mittelalter nicht anders unterwegs und der Mann hatte es drauf, sie zu schildern. Ich schätze ihn sehr.
Und wer findet, dass generell zu viel Blabla um die Sache gemacht wird, für den wäre folgendes eine Option:
Horst Haack (Nathalie)
Eine Beschreibung gestaltet sich vertrackt. Nennen wir es textbegleitete Illustrationen oder schlicht Kunst. Skurril, abgefahren, voller Fantasie und staunenswert zeichnerisch umgesetzer Assoziationen. Vielleicht sind es Träume, bzw. das Ergebnis von LSD Rausch oder Jahrzehnte langer Psychoanalyse, who knows. Jedenfalls menschliche Körper oder exponierte Einzelheiten, abgefahrene Texte, so wie sie noch nie ver-staltet worden sind. Betrachtens- und lesenswert für experimentell angehauchte Gemüter, deren Hirnschmalz gern auf Reisen geht.
Tomi Ungerer (Erotoscope, The Party)
…und noch einmal Bilder die Geschichten erzählen, vom Altmeister. Radikal und mit Hang zum Obszönen, Zynischen und Entlarvenden. So hätte das Ergebnis vielleicht auch aussehen können, falls Egon Schiele auf Wilhelm Busch getroffen wäre.
Tom Poulton (The secret art of an englisch gentleman).
Dicke Lippe, in Farbe, an Deutlichkeit mangelt es nicht, a bisserl überquellend und vordergründig, kein doppelter Boden. Hat zu Lebzeiten keiner von ihm gedacht…
Je nach Vorliebe ließen sich die Beispiele von sinnlich bis drastisch natürlich stapeln bis unters Dach. Aber falls wer selbst gern mit feingliedrigen oder sonst wie gestalteten Fingern in die Tastatur haut und Texte verfasst, respektive bebildert, könnte das eine Anregung sein, sich am Begehren zu probieren. Es kommt halt, wie im richtigen Leben auf das „Wie“ an. Wenn nix mehr hilft, kann man immer noch aus dem Fenster schauen und das Wetter beobachten. Vielleicht ballt sich grad was zusammen – stürmisch wird es werden, der erste Blitz zuckt schon. Wer weiß, wen er durchfährt.
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