Unlängst hat mich beim fußgängerischen Warten an der Ampel ein älterer Mann angesprochen: „Weißt du, alle meine Kinder haben zwei Beine. Die Enkelkinder auch.“
Ich hab ihn beglückwünscht, wir haben uns zugenickt und gingen unserer Wege. Warum ihm diese Botschaft mitteilenswert schien, werde ich nicht entschlüsseln können. Aber mein Hirn hat nach Interpretation gekramt und die Erkenntnis gefunden, dass nichts selbstverständlich ist und man die kleinen Glücksmomente begrüßen sollte. Ja, freilich, ich hör das gesamte Lesertum ächzen. Jetzt haut uns der Krause durchgenudeltes Kalenderblabla um die Ohren, von „der Freud an den kleinen Dingen“, statt dass er von seinem neuen Roman erzählt. Danke dafür.
Vielleicht ist dem Alten nur die Karre kaputt gegangen, oder aber er frickelt sich grad sein eigenes Gaga-Universum zusammen, you never know. Ein wenig Mysterium schadet nie.

Aber zu verschnaufen und über was „Freuenswertes“ zu sinnieren, scheint mir trotzdem nicht das Verkehrteste.
Ein beispielhafter „menschelnder“ Eindruck bleibt nicht aus, wenn man mit offenen Augen und Ohren umherstrolcht. In jedwedem Biergarten bekommst du, neben süffigem Kaltgetränk, das Gedankenmenü vom Nachbartisch gratis serviert, eine Variante von „den Leuten aufs Maul gschaut.“ Und wenns Bier gescheit fließt, brauchst du das Lippenlesen nicht beherrschen.
Kleine Auswahl gefällig: „Ich bin sicher, dass Jesus gelebt hat.“ – „Der Mohnkuchen hat sich in Bayern nicht wirklich durchgesetzt.“ – „Schwäne sind gar nicht monogam.“ – „Vegetarische Fischstäbchen schmecken wirklich wie Fisch.“
Alles diskussionswürdig. Den Kabeljau wird’s erleichtern, beim Mohnkuchen würd ich ein Fragezeichen setzen, und Monogamie ist bei jeglicher Daseinsform brüchiges Eis, es sei denn, Du fristest im Tierpark Dein zweisames Dasein.
Nein, nix um tief zu schürfen oder sich zu verfangen im existenziellen Netz (abgesehen von Jesus), und beruhigend ist das Unspektakuläre, so wie es ist, find ich.
Ein kühles Bier oder leckerer Mohnkuchen, ein fesselndes Buch, Sonne auf dem Bauch, ein monogamisch-körperlicher Event – da braucht man sich nichts scheißen um Kalenderweisheiten oder wie oft sich die Leute „carpe diem“ oder „lebe deinen Traum“ in die Haut stechen lassen. Sei es drum. Was am Ende rauskommt, ist ein Stückerl Genuss und a bisserl Gedankenlosigkeit zum Einpacken.
Freilich scheint der Planet es wieder und wieder darauf anzulegen, alles, was ihn behaust, im Genick zu packen und durchzubeuteln wie der Fuchs das paralysierte Karnickel. Beim Ausblick auf das traurige monströse Ganze könntest Du Dir die Fingernägel abknabbern, rot sehen, die Fäuste ballen und losdreschen – manche brauchen allerdings nur eine Massage gegen die Verspannung durch exzessives Schulterzucken (wobei ich eine gescheite Massage ja zu den kleinen Dingen zähle, die ganz großes Kino sein können).
Und falls Du Bücher schreibst oder dich sonst wie künstlerisch auslebst, kannst Du unversehens über die Frage stolpern: „wozu?“
Ich bin mir sicher, dass ich nicht, wie es Franz Kafka eingefordert hat, Romane schreibe, die wie eine Axt das Hirn spalten – lass mich aber gern vom Gegenteil überzeugen (mit messerscharfen Zeilen kenn ich mich aus).
Aber ob „Herr der Ringe“, „Conny auf dem Reiterhof“ oder „Die Blechtrommel“, ob Ravel, Stubenmusi oder Metallica, da maß ich mir kein Urteil an, denn wenn es einen Klebstoff gibt, der die Leut verbinden kann, besteht der aus dem, was man unter Kultur subsumieren mag.
Falls wer anmerkt, ich hätte heut wohl meinen naiven Tag, das geht okay – aber das Singen, Tanzen, Zeichnen und Geschichten erzählen findest Du rund um den Globus, und ich bin verdammt froh darüber, dass das nicht auszulöschen sein wird, weil es uns ausmacht, uns berührt und heilsam ist. Ganz einfach. Und tatsächlich feier ich all die Leut, die sich zusammen in das Abenteuer stürzen und sich von Klängen, Bildern und Wörterkunst einfangen lassen, egal ob sie von ihnen fabriziert oder genossen werden. Und das Menschliche braucht oft gar nicht so großspurig daherkommen, denk ich mal. Manchmal reicht vielleicht ein Lied, eine Streichelei oder ein gutes Mohnkuchenrezept für einen entspannten Moment.
Von meinem nagelneuen Roman „Garmischer Mordstage“ werde ich das nächste Mal erzählen, wer allerdings gern rezensiert und / oder in die Welt hinaus bloggt, kann mich oder den Verlag gern anschreiben, wenn er schon jetzt ein Roland Krause Werk haben will. Würd mich richtig freuen.
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